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Bewahrpädagogik ist kein guter Ratgeber

Lesezeit: Minuten
Markus Gerstmann weiß durch seine tägliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen um die Bedeutung von Videoplattformen für die junge Generation.
Aber warum sind YouTube-Kanäle für viele das neue Fernsehen? Teachtoday sprach mit dem Bremer Medienpädagogen über die Faszination von Videoplattformen und wie er junge Menschen für die sichere Mediennutzung begeistert.
Medienpädagoge Markus Gerstmann
Herr Gerstmann, schauen Sie überhaupt noch Fernsehen?

Mein Wohnzimmer ist immer noch recht klassisch ausgerichtet. (lacht) Ich selbst habe allerdings auch wie viele andere einen Second Screen, ein Tablet oder Smartphone, wenn es langweilig wird. Es ist nämlich nicht mehr nur so, dass ich mit der Familie zusammensitze und das Geschehen im TV kommentiere, sondern auch mit anderen Leuten, die nicht im Raum sind. Ein Klassiker ist der Tatort. Da gucke ich gern zwischenzeitlich nach, was die anderen sagen.

Da sind wir bei unserem Thema, denn soziale Medien und Videoplattformen wie YouTube oder YouNow leben von der Kommunikation und der Teilhabe ihrer Nutzer.

Richtig. Webvideos sind Handlungsräume, in denen ich jederzeit bestimmen kann, was passiert. Ich handle selber und entscheide selbst. Ich kann kommentieren, abbrechen oder etwas anders gucken.

Aber bleibt dann noch die Zeit, um Inhalte auf sich wirken zu lassen und zu reflektieren?

Ich bin selbstwirksam, darauf kommt es an. Alle Menschen wollen selbstwirksam sein. Warum soll ich mir einen langweiligen Tatort zu Ende ansehen? Das kann ich in anderen Bereichen, beispielsweise im Theater, tun. Digitale Medien sind eben schnelllebig. Das macht sie aus. Aber im Fernsehen wird man durch die Werbeeinblendungen ebenso ständig aus dem Geschehen gerissen.

Aber dort ist die Werbung als solche erkennbar. Das ist ein großer Unterschied zu vielen Inhalten, die beispielsweise auf YouTube zu sehen sind.

Das ist natürlich ein Problem. Werbung ist tatsächlich bei vielen YouTubern nicht eindeutig gekennzeichnet. Es ist gerade für Kinder und Jugendliche schwierig, zu unterscheiden, was eine persönliche Empfehlung und was eine klare Beeinflussung durch Werbung ist.

Können Sie das näher erklären?

Wenn es sich um eine persönliche Empfehlung handelt, ist das okay. Aber wenn etwas nicht die eigene Meinung der YouTuberInnen darstellt, ist es ein Problem. Das sind Unterschiede, die klar differenziert sein müssen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die YouTuberin Dagi Bee bringt seit August eine neue Mode -Kollektion heraus und ist damit so erfolgreich, dass nach Bekanntgabe die Server zusammenbrechen, weil so viele ihre Produkte haben wollen. Da entsteht also ein Machtfaktor. Hinter solchen YouTube-Stars stehen Multichannnelnetzwerke, die zu großen Firmen mit einer großen Produktionskette gehören. Aber wie viel Kommunikation findet über die Mitarbeiter statt, die hinter diesen Produktionen stecken? Worauf ich hinaus will, ist: Hier sollen Produkte verkauft werden. Dass YouTuber Geld verdienen, ist völlig in Ordnung. Aber Werbung muss gekennzeichnet sein.

Wie vermitteln Sie in Ihrer Arbeit als Medienpädagoge dieses Problem? Gibt es kritische Stimmen innerhalb der YouTube-Community?

Wenn wir Pädagogen innerhalb der Netzwerke etwas zum Thema veröffentlichen, passiert erfahrungsgemäß nicht sehr viel. Wenn das Thema von den YouTubern selbst aufgegriffen wird, ist es etwas anderes. Ich als Medienpädagoge schaue also darauf, welche Medienkompetenz da diskutiert wird. Das ist ein sehr guter Ansatz, um mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. Wir suchen Videos heraus und stellen Pro und Contra gegenüber.

Geben Sie so nicht Ihre Deutungshoheit ab?

Das ist unser Ansatz. Wir als ältere Menschen können die jugendliche Mediennutzung nicht beurteilen. Wir können sie aus unserer Sicht betrachten, aber nicht erfassen. Wir wollen aber, dass junge Menschen darüber nachdenken und sehen, wie sie mit diesen Themen lernen umzugehen. Wissen Sie, Bewahrpädagogik ist immer ein schlechter Ratgeber. Wir wollen, dass Heranwachsende Dinge selber kritisch hinterfragen. Denn wenn ich in einem Workshop 45 Minuten referiere, kommt erfahrungsgemäß wenig an. Wenn Kinder und Jugendliche aber selber etwas erarbeiten, lernen sie kritisches Hinterfragen.

Oft sieht das, was auf YouTube läuft, so einfach aus. Ist jungen Nutzern eigentlich klar, welcher Aufwand hinter vielen Webvideos steckt?

Nein, und deshalb produzieren wir mit Ihnen häufig Videos, damit sie verstehen, was für ein gutes Video alles nötig ist. Das richtige Licht, Ton - sie müssen in die Kamera sprechen. Das alles ist nicht einfach. Bei Formaten wie Let´s Plays ist das etwas anderes. Das Kommentieren von Videospielen ist eine Kunst, vergleichbar mit dem, was Kommentatoren bei einem Fußballspiel tun. Man muss interessante Themen und Allgemeinwissen haben. Denn wer nichts liefert, bekommt keine Klicks.

Bei Live-Streaming-Plattformen wie YouNow muss man Likes sammeln, um zu den sogenannten „Trending People“ zu gehören. Entsteht bei jungen Nutzern so nicht der Druck, dass sie zu viel Privates preisgeben, um Anerkennung zu finden?

Das war eine große Befürchtung, gerade als YouNow startete. Jugendliche nutzen die Plattform aber nicht so massiv, wie wir es erwartet haben. Sie nutzen sie tatsächlich eher im privaten Bereich. In der Medienpädagogik war die Privatsphäre in den vergangenen Jahren ein sehr wichtiges Thema. Ich denke, das hat Früchte getragen. Aber natürlich gibt es immer noch Leute, die als Negativvorbilder dienen. Die gibt es immer.

<b>Zur Person:</b> Markus Gerstmann ist Medienpädagoge und Bildungsreferent im ServiceBureau Jugendinformation Bremen in den Arbeitsbereichen Medienpädagogik und Jugendinformation. Er konzipiert und initiiert Workshops, Informationsveranstaltungen sowie Fachtagungen für Jugendliche, Eltern und pädagogische Fachkräfte.

Das Interview führte Martin Daßinnies.

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