„Kompetenz beginnt da, wo Menschen selbstorganisiert Probleme lösen“
Herr Professor Erpenbeck, digitale Medien sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Sie bestimmen zunehmend den Beruf und den Alltag. Zugleich werden die Mediennutzer immer jünger. Brauchen wir deshalb eine besondere Kompetenz - eine Medienkompetenz?
Ja, natürlich brauchen wir die. Man darf nur eines nicht hoffen: Dass es spezielle Medienkompetenz gibt, die sich von allen anderen Kompetenzen abheben. Die gibt es nicht. Das ist jedoch mit allen Fachkompetenzen so. Interessant aber ist ein Fachwissen das mit Emotionen und Motivationen imprägniert ist.
Können Sie das näher beschreiben?
Wenn jemand programmieren lernt, dann muss er eine bestimmte Darstellungsfähigkeit und Sprachfertigkeit besitzen, also eine Kommunikationskompetenz. Er muss aber auch die Fähigkeit haben, analytisch und abstrakt zu denken. Das sind aber Handlungsfähigkeiten, die man auch in ganz anderen Bereichen benötigt. Wenn er mit digitalen Medien arbeitet, dann muss er wissen, wie er diese allgemeinen Kompetenzen für das Sprechen und Arbeiten mit digitalen Medien einsetzen kann. Und er muss sich ein besonderes Fachwissen für diese Medien erarbeiten, weil diese eben einen anderen medialen Umgang erfordern als ein direktes Reden von Mensch zu Mensch. Es braucht dazu ein bestimmtes technisches Verständnis. Aber, und das ist das Interessante, es nützt gar nichts, wenn jemand diese Fähigkeiten hat, aber keinen Spaß daran findet. Das meine ich mit emotional imprägniert. Wenn jemand programmieren kann, aber keinen Spaß daran hat, wird er kein kompetenter Programmierer, der selbstorganisiert Probleme findet und kreativ etwas Neues entwickelt.
Medienkompetenz ist also eine Kombination aus Kompetenzen?
Medienkompetenz ist eine Kombination allgemeiner Kompetenzen, einem speziellen Fachwissen und, das ist das Wesentlichste, einer emotionalen Imprägnierung dieses Fachwissens. Diese Trias macht die Medienkompetenz aus. Leider wird heute noch vielfach geglaubt, dass man Kompetenz dadurch erzeugt, dass man Wissen in Köpfe hineinstopft. Kompetenz beginnt aber erst da, wo Menschen selbstorganisiert Probleme lösen können und kreativ sind.
Ist die sichere Nutzung von digitalen Medien nicht auch eine Kompetenz? Lässt sich das nicht mit ihrem Beispiel des Programmierers vergleichen?
Man kann lernen, wie man Verschlüsselungsalgorithmen entwickelt und einsetzt. Das kann man völlig neutral und emotionslos tun. Neue und interessante Verschlüsselungswege findet aber nur derjenige, der emotional beteiligt ist. Der etwa der tiefen Überzeugung ist, dass die Privatsphäre gewahrt bleiben muss. Das ist also nicht so sehr eine Frage des Technischen, es ist eine Frage der emotionalen Imprägnierung des Wissens, in diesem Fall des Sicherheitswissens. In der Vermittlung muss also überlegt werden, wie man diese emotionale Sphäre erreichen kann.
Welche Bedeutung besitzt das Handeln von Menschen im Kontext der Kompetenzentwicklung?
Ich versuche diese Frage mal auf einem anderen Weg zu beantworten. Es gibt viele Leute, auch in Unternehmen, die glauben, Menschen müssten bestimmte psychische Einstellungen haben. Mit denen werden sie dann schon die Kompetenzen entwickeln, so der Glaube. Aber das ist ein sehr weiter Weg, also von dem was Menschen wollen und an Motiven haben, zu dem wie sie tatsächlich handeln.
Können Sie das an einem Beispiel erklären?
Wenn sich jemand das Rauchen abgewöhnen will, dann kann er hochmotiviert sein, aber trotzdem weiterrauchen. Um also von einer Emotion zu einem Handeln zu kommen, braucht es sehr viel mehr als nur die Motivation. Deshalb ist es nicht sehr sinnvoll, nur die Persönlichkeitseigenschaften zu betrachten und mit diesen die Emotionen und Motive. Es ist besser, man prüft, welche Handlungsfähigkeiten jemand real besitzt. Es geht darum, Menschen zu zeigen, dass sie besondere Handlungsfähigkeiten haben und sie diese dann nutzen.
Das heißt, Kompetenzen werden durch Handeln und im Handeln sichtbar. Wie wichtig ist denn noch die Wissensvermittlung in der Kompetenzentwicklung?
Der Witz liegt darin, dass in Lernformen - und das beginnt leider in der Schule und setzt sich im Studium fort – eine Hierarchisierung erfolgt. Das Wichtigste ist das Wissen und die sogenannte Wissensvermittlung. Das Zweitwichtigste ist vielleicht, dass man ein Training mit diesem Wissen macht. Das, was in der Schule und in der Universität oft gar nicht wirklich berührt wird, ist die Praxis. Es müsste aber genau umgekehrt sein. Wenn ein Schüler den Umgang mit Medien lernen soll, muss er auf die Nase fallen, in dem was er tut. Er muss es emotional spüren, dass da etwas falsch ist. So wird ein Kind, um beim Thema zu bleiben, das Wissen unter einem ganz anderen Druck erwerben. Nämlich unter dem Druck: „Ich brauche dieses Wissen, um dieses Problem nicht noch einmal zu haben.“
Zum Abschluss ein Blick in die Zukunft: Wie werden digitale Medien das Lernen in 10 oder 20 Jahren verändern?
Digitale Medien werden in 20 Jahren völlig anders aussehen. Heute sind sie im Wesentlichen große Informationsbecken, in denen alle möglichen Informationen herumschwimmen. Die digitalen Medien der Zukunft werden menschenähnlicher sein. Nehmen sie das "DeepMind"-Projekt von Google. Der Computer der Zukunft wird eigene Gefühle haben. Damit wird er natürlich eigene Bewertungen vornehmen. Bewertungen, die man akzeptieren kann oder nicht, aber mit denen man sich auseinandersetzen muss. Es geht dann nicht mehr um die reinen Wissensinhalte, sondern darum, wie man mit dem Computer in einen sinnvollen Dialog tritt. Insofern wird es vielleicht sogar einfacher, da das digitale Medium dann menschenähnlicher ist. Es wird aber auch komplizierter, weil der Umgang mit Menschen im Allgemeinen ziemlich kompliziert ist.
Das Interview führte Katja Liebigt.
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