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Wissenschaft aktuell

Lesezeit: Minuten
Wissenschaft aktuell 01.03.2016

"Kurzsprache ist ein Plus."

Im Rahmen des Safer Internet Day sprach Teachtoday mit dem Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Gerd Mannhaupt über die Verbindung von Sprachentwicklung und Mediensozialisation und über die Potenziale und Gefahren von neuen Kommunikationsdiensten.

Herr Professor Mannhaupt, lassen Sie uns mit einer einfachen Frage beginnen: Was war ihr erstes, prägendes Erlebnis mit digitalen Medien?
Das war ein programmierbarer Taschenrechner von Texas Instruments, der TI-59. Er war mein erster Weg in die neuen Medien. Mit ihm habe ich quasi angefangen zu programmieren. Und wahrscheinlich wurde hier schon der Grundstein gelegt für die Anwendung von digitalen Verfahren in der Sprachforschung.

Und wenn Sie jetzt auf Ihre Studenten blicken, wie nutzen Sie heute digitale Medien in der Ausbildung?
Da unterscheide ich in zwei Perspektiven: Zum einen brauchen wir mediale Unterstützung für die universitären Lehrveranstaltungen. Lernplattformen sind hier mittlerweile Standard, ebenso wie Dokumente, die man elektronisch austauschen und kommentieren kann. Beim Einsatz von Medien in der Schule, also in der Fachdidaktik, tauchen digitale Medien eher nur punktuell auf.

Man sieht Sie hier an der Uni oft mit Tabletcomputer und Stift. Wie sieht es denn bei Ihnen in der Familie aus? Wie gehen zum Beispiel Ihre Enkel mit digitalen Medien um?
Die beiden Mädchen sind gerade mal 18 Monate alt. Bei ihnen spielen die neuen Medien noch keine Rolle. Die vier Jungs sind entweder noch im Vorschulalter oder älter, also neun bis zehn Jahre. Sie sind mittendrin in der Medienwelt. Da wird mit den Schlaumäusen Lingo und Lette die Welt der Sprache entdeckt, ebenso wie alle erdenklichen Spielkonsolen im Gebrauch sind. Für mich heißt es da oft auch selbst dazulernen, z.B. dass es Schnittstellen für Spielkonsolen gibt, auf die man Figuren stellt, umso die Charaktere in den Spielen zu ändern. Was mich aber wirklich verwundert hat ist, dass die alten Nintendo-Spielgeräte, die ich ihren Vätern, also meinen Söhnen gekauft habe, auch noch immer in Nutzung sind.

Kommen die Enkelkinder denn extra zu den Großeltern, um mit digitalen Medien zu spielen?
Nein, Oma und Opa sind da eher konservativ. Aber wir bekommen einen guten Mix ganz unproblematisch hin. Die Begeisterung ist nämlich sehr groß, wenn die Kinder die Großeltern beim Uno schlagen. Das macht genauso Spaß, wie gemeinsam mit Mario durch die Gegend zu fahren. Wir gehen also, wenn die Enkel da sind, mit digitalen Medien sehr ausgewogen und bewusst um.

Die Kinder spielen also. Heißt das dann, solange Kinder noch nicht lesen und schreiben können, ist das Internet der Erwachsenen für sie uninteressant, weil sie nichts damit machen können?
Ich denke tatsächlich, dass es lange Zeit keine so große Rolle spielt. Im Alter von fünf bis zehn Jahren sind die neuen Medien vor allem interessante Spielobjekte. Erst mit dem Ende des Kindesalters, also dem Beginn der Jugend wird das Internet auch sprachlich intensiver genutzt.

Trotzdem benutzen auch Viertklässler Dienste wie WhatsApp. Als Elternteil sieht man dort eine Art der Sprache, oft sogar nur Sprachfetzen, die man teilweise gar nicht versteht. Woran liegt das?
Bei den Kleinen ist das auf die mangelnde "Werkzeugkompetenz" zurückzuführen. WhatsApp nutzt ja nicht nur Schriftsprache, sondern Sprache im Allgemeinen. Dazu gehören auch Emoticons und Sprachnachrichten. Wenn man den Bereich des Kommunizierens betrachtet, der über die Schriftsprache hinausgeht, dann ist das für Kinder ein neues Werkzeug. Daran müssen sich Kinder erst einmal gewöhnen. Die Smileys, die sie benutzen, sind zudem viel näher an der Spielwelt. Sie bieten eine Symbolik an, an der Kinder viel näher dran sind. Deshalb werden sie auch häufiger genutzt.

Viele Eltern haben nun Angst davor, dass gerade junge Kinder durch die frühe Mediennutzung in ihrer Sprachentwicklung gestört werden könnten. Trägt WhatsApp vielleicht direkt dazu bei?
Das hängt von der Dosierung ab und davon, wer die Medien wie nutzt. Bei einer gesunden Sprachentwicklung beherrscht der Sprecher unterschiedliche Register. Register bedeutet, ich kann meine Sprache an mein Gegenüber und an unterschiedliche Situation anpassen. Ein simples Beispiel ist die Schule. Der Schüler lernt im Schulalltag, dass man in ganzen Sätzen antwortet. Er lernt auch, dass in diesem Kontext eine Kurzsprache nicht zugelassen ist. In WhatsApp wiederum lernt er, sich mit minimalem Aufwand verständlich auszutauschen. Kinder und Jugendliche versuchen also, so viel wie möglich an Bedeutung in ein Format zu packen. Aus der Sicht eines Sprachwissenschaftlers erwerben sie sich so ein neues Register. Wenn es ausgewogen ist, also die Kurzsprache nicht das einzige Register ist, in das Kinder hineinwachsen, dann ist diese Ausdrucksform eher eine Sprachanreicherung als eine Verarmung.

Kinder entdecken also etwas Neues in der Sprache und entwickeln Sprache damit weiter?
Tatsächlich. Diese Kurzsprache, die ja fast alle – auch die Erwachsenen – bei WhatsApp nutzen, ist in der gesellschaftlichen Entwicklung tatsächlich neu. Also ein Plus!

Sprachentwicklung und Mediensozialisation gehen also einher. Nun hat Teachtoday mit dem Scroller gerade ein neues Kindermagazin herausgegeben. Ein Produkt, das ganz klassisch auf Papier ein Brücke zu den digitalen Medien bilden soll. Halten Sie das für einen guten Weg? Oder muss heute alles digital sein?
Nein. Ich halte es für einen sinnvollen Weg. Es spiegelt die Welt und die Tradition wider, aus der die meisten Kinder kommen. Viele Kinder gehen ja bereits mit der geschriebenen Schrift in Buchform, wie etwa Bilder- und Lesebücher und Magazinen um. Gerade im Grundschulalter ist der Umgang mit textuellen Informationsformaten keiner, der schon fest im digitalen Bereich etabliert ist. Es ist für Kinder und Eltern also sinnvoll, sich auf die sogenannte "alte" Form, die Papierwelt, einzulassen und dann in die neue Welt hinüberzuwechseln.

Abschließend würden wir gern noch wissen, welchen Tipp Sie Eltern in Bezug auf digitale Medien geben würden?
Zwei Dinge: Erstens, ich würde empfehlen immer mitzumachen. Nicht grenzenlos, aber ich würde mir regelmäßig die Dinge anschauen, die meine Kinder mit digitalen Medien tun - und im wahrsten Sinne des Wortes auch mitspielen.
Zweitens: Gerade im Schulalter ab Klasse vier, fünf und sechs sollten Eltern deutlich machen, wie man digitale Medien und gerade das Internet dazu nutzen kann, um sich Wissen anzueignen. Wikipedia beispielsweise ist eine ganz große Errungenschaft, mit der jeder relativ problemlos auf einen großen Wissensfundus zurückgreifen kann. Zum Beispiel kann man gut einsteigen, wenn es um Hobbies oder Inhalte geht, die Kinder ganz besonders interessieren. Das Internet ist so eine reichhaltige Quelle. Das bedeutet aber auch, dass Eltern nicht alles wissen müssen. Sie sollten aber ihren Kindern zeigen, wo sie nach was suchen können - und wie sie die gefundenen Informationen bewerten können. Ich würde mich in dieser Hinsicht also darauf einlassen und das Internet als Generierungsquelle für Wissen nutzen.

Das Interview führte Thomas Schmidt am SID 2016.

Dr. Gerd Mannhaupt ist Professor für Grundlegung Deutsch an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt. Zu seinen Forschungsgebieten zählen die Bereiche Schriftspracherwerb, Lernstandsmonitoring sowie Analyse und Didaktik des frühen Lesens und Schreibens.

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