Was wir fühlen, tun und denken, wird durch unser soziales Umfeld mitgeprägt. Wir möchten dazu gehören und sind bereit, von Freunden und Bekannten Dinge zu akzeptieren, hinter denen wir nicht unbedingt stehen. Das betrifft auch das Liken von Posts und das Teilen von Inhalten. Sympathie zu dem, der postet und zu der Gruppe, aus der heraus das passiert, ist manchmal wichtiger als der Inhalt. Wir lesen nur die Überschrift und den Absender und entscheiden über gut und nicht gut. Die Frage: "Bist Du für oder gegen uns?" ist mitunter wichtiger als die Auseinandersetzung mit dem Post und seinem Inhalt selbst.
In den vergangenen Jahren haben sich weltweit neue Formen von Ausgrenzung, Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz, Propaganda und Falschinformationen im Netz entwickelt. In Kommentarspalten und in sozialen Netzwerken finden sich eine Masse an Extremismus, Radikalismus und Populismus. Insgesamt ist der Ton in Kommentarspalten und sozialen Netzwerken rauer geworden und mit Falschmeldungen sowie Hassreden angefüllt.
Aber nicht nur fremdenfeindliche Gruppen oder Internet-Trolle nutzen digitale Medien, um Menschen auszugrenzen oder zu diffamieren und so die Demokratie zu gefährden. Auch der Hass gegen Einzelne, das Mobbing, hat sich in die digitale Welt verlagert und eine neue Dimension gewonnen.
Schon unter den 12- bis 19-Jährigen geben laut aktueller "JIM-Studie" 37 Prozent an, dass in ihrem Bekanntenkreis schon einmal jemand von Cybermobbing betroffen war. Je älter die Jugendlichen sind, desto höher ist der Anteil derer, die schon von so einem Fall erfahren haben, so die Studie.
Die Verrohung, die sich in den vergangenen Jahren in den sozialen Netzwerken durch Hate Speech und Cybermobbing zeigt, kann zwar alle Menschen treffen, doch es trifft vor allem die Schwächeren und diejenigen, die zu einer Randgruppe gehören. Aber diese Verrohung geht nicht von einer Mehrheit der Internetnutzer aus. „Vielmehr haben sich die, die eine andere Meinung haben, zurückgezogen“, wie der Netzaktivist Markus Beckedahl in einem Deutschlandfunk-Interview erläutert. Viel zu oft bleiben Nicht-Betroffene passiv: Anfeindungen bleiben sichtbar und unkommentiert stehen. Es wird weggeschaut, viel zu selten werden die Betroffenen verteidigt oder die Täter auf ihr Verhalten angesprochen.
Wenn sich Hass, Feindseligkeiten und Lügen in den vergangenen Jahren im digitalen Leben verstärkt zeigen, wie können wir passend darauf reagieren? Es ist wichtig, dass eine demokratische Gesellschaft, in der die Würde des Menschen im ersten Artikel des Grundgesetzes festgeschrieben ist und die den Menschen unabhängig von Merkmalen wie etwa Herkunft, Geschlecht oder Alter dieselben Rechte garantiert, sich gegen Ausgrenzung und Intoleranz in der digitalen Welt engagiert.
Die rasante Entwicklung zeigt, dass demokratische Werte und ein friedliches Miteinander nicht einfach gegeben sind. Umso wichtiger ist es, dass sich jeder Einzelne aktiv für diese Grundsätze einsetzt. Was es braucht, ist Zivilcourage, die Fairness, Toleranz und gegenseitige Rücksichtnahme auch in der digitalen Welt in den Blick nimmt und Solidarität mit Andersdenkenden und Minderheiten zeigt – eine digitale Zivilcourage!
Damit sich das soziale Klima in der digitalen Welt verbessert, braucht es Menschen, die Verantwortung übernehmen und die bereit sind, sich für andere einzusetzen. Empathie offen zu zeigen und Betroffenen Unterstützung anzubieten, egal ob bei Hate Speech oder Cybermobbing, ist enorm wichtig. Denn wer davon betroffen ist, fühlt sich häufig in seinem Selbstwertgefühl herabgesetzt und durch solche Angriffe isoliert. Das Schweigen der Mitlesenden ist fast so verletzend wie der Hass selbst.
Darum ist Empathie eine wichtige Voraussetzung für Zivilcourage. Sie ist ebenso relevant, wie das eigene Handeln zu hinterfragen und anderen Meinungen gegenüber mit Respekt zu begegnen. Obwohl es in den meisten Fällen von Widerstand zu keinen Folgen für den Mutigen kommt, reagieren nur wenige. Die Mitlesenden, sogenannte Bystander, geben an, nicht zu wissen, was wirklich hilft und was man überhaupt tun kann.
In der vermeintlichen Anonymität der digitalen Welt ist es wichtig, Betroffenen von Anfeindungen aktiv zur Seite zu stehen. Das kann in einer Online-Diskussion ein Like, ein positiver Kommentar oder der Anspruch sein, einen Angreifer zur Rede zu stellen oder zu melden, wenn es nötig ist. Die wenigsten wissen, dass bei Übergriffen in der digitalen Welt die Polizei genauso zuständig ist wie in der analogen Welt.
Zivilcourage und Engagement fangen in der digitalen wie in der anlogen Welt im Kleinen an, egal ob nun in der Schule, dem Sportverein, am Arbeitsplatz oder in der Chatgruppe. Denn wie wir uns selbst ausdrücken und verhalten, prägt immer unser soziales Umfeld mit. Im Netz wird dem Hater viel zu oft nicht geantwortet oder ein Kommentar entgegengesetzt. Das Ziel sollte jedoch sein, die schweigende Mitleserschaft, die sich oft noch gar keine Meinung gebildet hat, zum Nachdenken zu bewegen und ihnen eine Alternative für ihr Handeln anzubieten – Zivilcourage.
Interaktives Lernmodul: Digitale Zivilcourage