Doch wer an der Demokratie mitwirken möchte, muss auch mit ungelösten Problemen umgehen können, es aushalten, dass nicht alle die gleiche Meinung haben. Hier zeigt sich, wie wichtig eine zivilisierte Debattenkultur ist. Das betrifft nicht nur die Debatten im öffentlichen analogen Raum, sondern vor allem das Diskutieren im Netz.
In jedem öffentlichen sozialen Raum gelten Regeln (keine Beleidigungen, ausreden lassen etc.), bei deren Missachtung Konsequenzen drohen, wie Abmahnung, Ausschluss aus der Diskussion bis zur Aufforderung, den Raum zu verlassen. Im Netz, z. B. auf Dialogplattformen lassen sich diese Regeln nicht 1:1 übernehmen, weshalb es umso wichtiger ist, sie anzupassen und klar zu kommunizieren. Denn: Gibt es klare Regeln, wie beispielsweise Dialogregeln auf digitalen Plattformen, so muss auch hier ein Verstoß mit Konsequenzen versehen werden. Diese können die Löschung von Beiträgen, die Verwarnung des Nutzers, die Isolierung oder final das Ausschließen oder gar die Anzeige der Person sein.
Hinzu kommt, dass gerade die junge Generation der 14- bis 29-Jährigen Medien nicht nur im Alltag nutzt, sondern Bewegtbild- und Audionutzung sowie persönliche Kommunikation über Messaging-Dienste und soziale Netzwerke (z. B. WhatsApp, Instagram) zuweilen fließend ineinander übergehen. Aufgrund der immer stärker zunehmenden Informationsflut kann es für sie schwierig sein, zu überprüfen, welche Fakten zutreffend und zuverlässig sind. Hier müssen junge Nutzer*innen befähigt werden, sich in der Medienlandschaft zurechtzufinden und durch faktensichere Sachkenntnis am konstruktiven Dialog teilzuhaben, eine wertvolle Disziplin, die es zu lernen gilt.
Zweck des Disputs oder der Diskussion soll nicht der Sieg, sondern der Gewinn sein. (Joseph Joubert (1754-1824), frz. Moralist u. Epigrammatiker)
Die Debatte als Königsdisziplin einer zivilisierten kommunikativen Auseinandersetzung hat als wichtigstes Merkmal die Achtung des wertvollsten eines jeden Menschen – seine Würde. Das heißt: Wird über ein Thema gestritten, so darf jedes Argument angebracht werden, solange es nicht die Würde des Gegenübers berührt. Nur bei Einhaltung dieser Regel ist eine zivilisierte Debatte möglich. Neben dieser wichtigen Regel gibt es weitere, an denen sich alle Debattierenden halten müssen, wie z. B. Fairness und gleiche Redezeit für alle. Diese von den alten Griechen entwickelte Form der Auseinandersetzung ist eine wertvolle Kulturtechnik, die eine gewaltlose Konfliktlösung nicht mit einem Sieg, sondern mit einem Gewinn der Erkenntnisse darstellt und bis heute einen unschätzbaren Wert in einer Demokratie besitzt.
- Altgriechisch: diálogos = Unterredung, Gespräch
- (Zwie-)gespräch zwischen zwei oder mehreren Personen, meist mit Rede und Gegenrede, mündlich oder schriftlich
- stärker fokussiert auf den Austausch als auf eine Bewertung
- Schaffen eines neuen Bedeutungsraumes, aus dem Neues entsteht
- oft angewandt in der Diplomatie und bei Konflikten mit nicht absehbarer Lösung
- Lateinisch: discussio = Untersuchung / Prüfung
- Gespräch / Auseinandersetzung zwischen zwei bzw. mehreren Personen
- ein bestimmtes Thema in Form einer offen gestellten Frage als Gesprächsgegenstand
- feste Regeln sind möglich, aber selten
- jede Seite trägt ihre Meinung / Argumente vor
- Aufmerksamkeit liegt auf dem Faktischen
- keine Überzeugung der anderen Gesprächsseite, sondern gemeinsame Lösungsfindung
- Diskussion und Debatte schließen sich nicht völlig aus, in der Praxis überwiegt die Mischung
- Lateinisch: discursus = umherlaufen
- betont sachliche Diskussion
- Diskurstheorien, die Folgen von Äußerungen beschreiben
- Englisch: Debating = dt. debattieren (der engl. Begriff „debating“ wir oft im Zusammenhang mit Debattier-Wettbewerben verwendet.)
- Streitgespräch, vor allem im politischen Kontext als Aussprache oder im Parlament als Erörterung
- folgt stets bestimmten formalen Regeln
- wird inhaltlich vorbereitet
- Vortragen der Pro- und Contra Argumente nacheinander
- Diskussionsthema: Sach- oder Personalfragen
- Schlagabtausch der Argumente
- Überzeugung der anderen Seite
Der Einzug der digitalen Medien hat einen grundlegenden Wandel der demokratischen Öffentlichkeit und Debatte verursacht. So sind einerseits die Möglichkeiten der medialen Teilhabe sprunghaft angestiegen, andererseits hat die Möglichkeit der Anonymität die moralischen Hemmschwellen enorm sinken lassen. Vor allem die fehlende Mimik und Gestik des Gegenübers „ermutigt“ viele Nutzer*innen zu nicht regelkonformem Verhalten: Von verbalen Beleidigungen, kommentarloses Dislikes bis hin zu anonymen Hasskommentaren – das Repertoire digitaler Auseinandersetzung ist vielfältig. Die digitalen Medien haben die Art und Weise, wie gestritten wird, stark verändert.
So läuft das Internet Gefahr, die Spaltung der Gesellschaft zu begünstigen, statt eine verbindende Wirkung auszuüben und zu verhindern, dass Klischees und Vorurteile ohne nachzudenken bestätigt werden. Doch was genau bedeutet das für die digitale Debatte, in der sich Menschen ernsthaft mit gesellschaftlichen Themen auseinandersetzen wollen? „Die digitale Debatte verändert Beziehungen. Die bisherigen Verhältnisse werden gestört, weil jetzt jeder mitreden kann. Dadurch verändert sich die Sprache, es wird politisch unkluger debattiert.“, schätzt Prof. Barbara Pfetsch von der Freien Universität Berlin im Rahmen einer 2019 stattfindenden Diskussionsrunde der telegraphen-Reihe der Deutschen Telekom ein. Auch Lars Klingbeil, heute Bundesvorsitzender der SPD, sah schon damals Risiken der Polarisierung, möchte aber dennoch die digitale Debatte nicht missen, da er es wichtig findet, „dass es heute Kommunikationswege gibt, die allen Menschen offenstehen.“
Gerade deshalb besitzen die Medien als sogenannte 4. Gewalt eine große Verantwortung, wenn es um eine faire und korrekte Berichterstattung geht, um die demokratische Gesellschaft nicht zu gefährden. Denn angesichts der Tatsache, dass Medien einen sehr starken kontrollierenden Einfluss auf politische Prozesse besitzen, kommt ihrer Rolle als Informationsquelle eine große Bedeutung zu, die es verantwortungsbewusst zu erfüllen gilt. Die freien Medien müssen als 4. Gewalt die tragende Säule einer fortschrittlichen Demokratie sein, besonders, was die Meinungsvielfalt und den damit verbundenen gesellschaftlichen Diskurs im Internet betrifft.