Digitale Technologien ermöglichen fundierte Entscheidungen
Ich kaufe sowohl online als auch „offline“ ein. Wo ich kaufe, hängt unter anderem davon ab, ob ich ein bestimmtes Produkt suche oder keine konkreten Vorstellungen habe, zu welchem Zeitpunkt ich etwas kaufen möchte und wo ich gerade bin. In Läden sind mir eine gute Beratung und das Einkaufserlebnis wichtig.
Der Internet-Handel wird weiterhin wachsen. Gleichzeitig werden Konsumenten aber auch zukünftig noch „offline“ kaufen. Darüber hinaus werden technologische Fortschritte im Bereich der mobilen Endgeräte und der Augmented Reality die Grenzen zwischen stationärem- und Internet-Handel weiter verwischen. Was man bereits heute sieht, Unternehmen, die als „reine“ Internet-Händler begonnen haben, eröffnen jetzt erfolgreich Pop-up Stores, Showrooms und klassische Geschäfte. Dies hilft ihnen nicht nur Kunden zu gewinnen und Aufmerksamkeit zu generieren, sondern ermöglicht ihnen auch die Vorteile des stationären Handels zu nutzen. Kunden können Produkte anfassen oder ausprobieren und haben keine Lieferzeiten.
Zusätzlich werden Internet-Händler weiter daran arbeiten, ihre Logistik zu optimieren und Lieferzeiten zu verkürzen, zum Beispiel durch Predictive Shipping. Hierbei geht es darum, zu prognostizieren, wo ein bestimmtes Produkt als nächstes bestellt werden könnte und dieses dann in die Richtung des vorhergesagten Bestellortes zu versenden. Ein anderes Beispiel der Optimierung ist die Auslieferung von Produkten durch autonome Drohnen.
Digitale Technologien können Konsumenten in all ihren Entscheidungsprozessen beeinflussen, zum Beispiel mittels personalisierter Werbung, durch den Vergleich von Produkten oder Dienstleistungen und Preisen, den Kauf über mobile Apps bis hin zum Verfassen und Teilen von Bewertungen und Erfahrungsaustausch in Foren oder sozialen Medien nach dem Kauf. Der Anteil der Internetnutzer in Deutschland liegt mit über 80 Prozent auf einem hohen Niveau. Unterschiede gibt es in der Nutzung von Diensten und Anwendungen.
Die Altersgruppe der 30- bis 49-Jährigen ist beispielsweise im E-Commerce (online bezahlen, online Shopping oder Bestellen und Anbieten von Dienstleistungen) besonders aktiv. Obwohl das Internet es den Verbrauchern ermöglicht, besser fundierte Entscheidungen zu treffen sowie gezieltere Angebote und einen schnelleren Service zu erhalten, ist die Wahrscheinlichkeit, einen Einkauf zu tätigen, aber höher, wenn sich Konsumenten in einem stationären Geschäft befinden. Das Smartphone ermöglicht beispielsweise selbst im stationären Geschäft, Preise zu vergleichen und damit besser informierte Kaufentscheidungen zu treffen.
Die Kerntheorie in der Ökonomie baut auf einem einfachen aber mächtigen Verhaltensmodell auf: Menschen treffen Entscheidungen, um eine Nutzenfunktion zu maximieren. Tatsächlich ist es jedoch so, dass Konsumenten bei ihren Entscheidungen häufig systematisch von den Vorhersagen dieses Modells abweichen. In Bezug auf die Angebotsvielfalt sollte man beispielsweise erwarten, dass ein größeres Sortiment dazu führt, dass Konsumenten mit größerer Wahrscheinlichkeit ein Produkt finden, das ihren Anforderungen entspricht. Paradoxerweise zeigen jedoch eine Vielzahl von Untersuchungen, dass eine größere Anzahl an Alternativen negative Auswirkungen auf das Entscheidungsverhalten und die Zufriedenheit von Konsumenten haben kann. Eine große Auswahl kann Konsumenten überfordern und sogar von einem Kauf abhalten.
Die Preisgestaltung im Internet ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Allgemein hat das Vorhandensein von digitalen Medien zu niedrigeren Transaktionskosten geführt. Anbieter und Käufer können sich schneller über Güter und Leistungen austauschen. Ein Beispiel sind kundengetriebene Preismechanismen wie Auktionen, bei denen der Käufer mitbestimmt, welchen Preis er zahlen möchte.
Es haben sich auch komplexere Preismodelle wie „Dynamic Pricing“ durchgesetzt. Dabei verwenden Verkäufer Algorithmen, die beispielsweise die aktuelle Nachfrage, den Wettbewerb und Kontext (z. B. Standort, Uhrzeit, Wetter) sowie weitere Faktoren berücksichtigen, um Preise für Produkte und Dienstleistungen automatisiert festzulegen. Ein Beispiel für dynamisch berechnete Preise ist der Fahrpreis bei einer Fahrt mit dem Online-Vermittlungsdienst Uber.
Technisch ist das grundsätzlich möglich. Mir ist allerdings kein Internethändler bekannt, der Preise auf Basis des Geräts seiner Kunden personalisiert. Aus meiner Sicht wäre das auch nicht sinnvoll, da man vom Preis des Geräts nicht notwendigerweise auf die Zahlungsbereitschaft des Konsumenten schließen kann.
Ganz allgemein werden Menschen in ihrem Verhalten von dem Wunsch nach Fairness beeinflusst. Wie sich etwa „Dynamic Pricing“ auf die Fairnesswahrnehmung von Konsumenten auswirkt, hängt dabei von verschiedenen Faktoren ab, wie etwa der Kaufsituation oder der vergangenen Zeit zwischen Preisveränderungen. Beispielsweise führen höhere gezahlte Preise beim direkten Vergleich mit anderen Konsumenten zu einer negativeren Wahrnehmung.
Konsumenten nehmen Preise als fairer wahr und sind zufriedener, wenn sie eine Rolle im Preisfindungsprozess gespielt haben (z. B. bei Auktionen). Außerdem empfinden Konsumenten Preisänderungen innerhalb sehr kurzer Zeiträume unfairer als Preisänderungen, die über einen längeren Zeitraum passieren. Preisschwankungen per se können Konsumenten nicht umgehen. Allerdings kann es sich lohnen mehr zu suchen und zu vergleichen und, falls möglich, mit einem Kauf zu warten.
Zur Person: Dr. Lucas Stich ist Postdoc am Institut für Electronic Commerce und Digitale Märkte an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Er hat einen Bachelor of Science in Wirtschaftswissenschaften von der Goethe-Universität Frankfurt am Main und einen Master of Science in Betriebswirtschaftslehre von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Er promovierte (2017) an der Fakultät für Betriebswirtschaft der LMU München.
Das Interview führten Martin Daßinnies und Natascha Riebel.
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Projektidee: Konsum im Kinderzimmmer